10.08.2015
Brillantes Finale in Herxheim mit dem Wahnsinnsgeiger Adam Baldych und den Melodienanbetern um Lars Danielsson
Von unserem Mitarbeiter Hans-Günter Fischer
Enjoy Jazz ist auch schon nicht mehr fern: das "Festival für Jazz und anderes". Wobei das "andere" vor allem musikalisch definiert ist. Doch Palatia Jazz, das Pfälzer Open-Air-Jazzfest, könnte man auch mit diesem Titel schmücken. Hier wird dieses "andere" indessen kulinarisch aufgefasst - zum Abschluss der Saison in Herxheim bei Landau, vor der schönen Villa Wieser, ist der Catering-Bereich kaum kleiner als ein halbes Fußballfeld. Die Eintrittskarteninhaber jedoch goutieren nicht bloß Riesling und - natürlich - Saumagen, sondern auch das Konzert des Geigers Adam Baldych. Sie begeistern sich sogar dafür. Es fällt nicht schwer: Der junge Pole steht mit nicht mal 30 Jahren schon auf dem Zenit.
Fabelhafte Spieltechnik
Die fabelhafte Spieltechnik
ist dabei nur der Ausgangspunkt: Baldych gebietet über
Artikulationsfinessen, die den besten Klassikgeigern Ehre machen würden,
bis zu quasiorchestralen Tremolo-Effekten. Seine Bogenführhand ist zu
allem fähig. Dabei bleibt der Ton stets gertenschlank, die Linke
Baldychs kann auf den Vibrato-Einsatz weitgehend verzichten, hat ihn
auch nicht nötig, um den Eindruck von Gefühl und Größe zu erzeugen. Der
stellt sich von selbst ein. Lange war die Geige nur ein Exilant im Jazz,
ein Flüchtling mit höchst eingeschränktem Bleiberecht, mit ihrem eher
weichen, femininen Ton höchstens geduldet. Baldych könnte das endgültig
ändern, und er wandelt da ein bisschen auf den Spuren seines Landsmanns
Zbigniew Seifert, der gewiss sein großes Vorbild ist. Der wollte seine
Geige spielen wie John Coltrane seine Saxofone: ebenso entgrenzt und
expansiv. Beim Herxheimer Konzert spielt Baldych Seiferts Stück "Quo
Vadis".
Am Klavier wird er von Landsmann Pawel Kaczmarczyk nicht bloß begleitet.
Dieser badet förmlich in den Vorlagen des Geigers und will jedem Ton
ganz nahe sein. Versenkt sich tief über die Tastatur. Findet indessen
auch den Mut zu langen, manchmal sogar wilden Solo-Exkursionen. Baldych
sowieso: Die selbstverfassten Stücke haben zwar stabile Wurzeln in der
-slawischen - Folklore und besingen selig ihre Themen; aber dann kommt
der Moment, an dem der Geiger improvisatorisch förmlich abhebt - und
dabei tatsächlich kleine Sprünge macht. So zart und leise auch die
Zugabe gerät, geschrieben hat sie wiederum ein tragisch früh
Verstorbener (wie Zbigniew Seifert): Pianist und Komponist Krzysztof
Komeda. Seine Titelmelodie zu dem Polanski-Film "Rosemary's Baby" ist
ein bittersüßes Wiegenlied für einen Dämon. Große Polen sind hier
sozusagen unter sich. Baldych (und sogar Kaczmarczyk) natürlich
eingeschlossen.
Geboren 1986, wurde Adam Baldych von der "FAZ" zum "am weitesten entwickelten" Jazzgeiger der Gegenwart ernannt. Der junge Pole machte eine Wunderkindkarriere, doch entschied er sich als 13-Jähriger gegen die Klassik. Er ist äußerst vielseitig, steuert häufig auch Musik für Film- oder Theaterproduktionen bei. 2013 erhielt er für die CD "Imaginary Room" einen Echo als internationaler Instrumentalist des Jahres.
Der Bassist Lars Danielsson, geboren 1958, stammt aus Göteborg in Schweden. Er fuhr anfangs auf der Klassikschiene und studierte das Cellospiel. Durch einen Auftritt von Niels-Henning Ørsted Pedersen wurde er dann zum Kontrabassspiel und zum Jazz bekehrt. Dass er von Hause aus Cellist ist, hört man aber immer. HGF
Nach der großen Rieslingpause spielt Lars Danielsson mit seiner Band. Der schwedische Bassist, mit Adam Baldych gut befreundet, bietet eine Art Kontrastprogramm. Auf Hochspannung folgt heitere Gelassenheit, auf ein Prinzip des Überflusses die Maxime "Lieber ein Ton weniger". Am Anfang steht ein reines Kontrabassstück voller singender, voluminöser Linien, die sich wie die Stahlseile an einer Hängebrücke über eine breite Bucht spannen. Ein wenig ist der riesige Akustikbass, den Danielsson gleichwohl "getunt" und mit Effektpedalen aufgerüstet hat, der Buckelwal unter den Instrumenten. Und viel zärtlicher, als man vermuten würde. Er bedient Romantiker und Melodienanbeter. Doch wenn man Danielsson in Herxheim zusieht, spürt man auch den Formwillen des Schweden. Mittels Kontrabass und fördernd-forderndem Rundumblick kontrolliert er seine Band. Kein Wunder, dass die unverfummelte Gitarre von John Parricelli immer auf den Punkt kommt; dass die Drums von Magnus Öström traumhaft sicher die Textur bestimmen, mal Verdichtung, mal Entspannung propagieren. Und auch kleine Quersteher und Kontrapunkte sind durchaus im Sinne des Erfinders, Jonas Östholm am Klavier ist dafür zuständig. Denn Danielsson ist klar, dass selbst Romantik ihre Kanten braucht - und aufgelockert werden muss durch Rhythmus. Eine Nummer heißt gar "Party On The Planet", und sie klingt auch so. Der Höhepunkt ist aber Adam Baldychs Gastspiel in der ersten Zugabe. Da trifft sich ein Genie mit vier brillanten Handwerkern.
© Mannheimer Morgen, Montag, 10.08.2015