10.08.2015
Mit der Lars Danielsson Group und dem Geiger Adam Baldych geht das 19. Festival Palatia Jazz in Herxheim zu Ende.
Von Dietrich Wappler
Jazz, das muss etwas sein, das richtig Spaß macht, aber auch anstrengend sein kann, denke ich mir. Zumindest strahlen das die Musiker hier auf der Seite aus, oder? Ich hab mal rumgefragt, was Jazzmusik denn genau ist – und ganz unterschiedliche Antworten bekommen. Opa Nörgel geht manchmal zum Frühschoppen, da gibt es Dixieland. Mein Papa hört gern sehr schnelle Jazz-Musik, die Bebop heißt. Dann hat er aber auch Platten, die ganz entspannt klingen. Er sagt, das sei Cool Jazz. Unser Nachbar hört Musik, die fetzt wie Rockmusik, nur ohne Gesang. Das nennt er „Fusion“. Und meine Tante hört ziemlich komisches Zeug. Das wirkt manchmal, als ob die Instrumente leiden. Sie sagt, das sei Avantgarde und Free Jazz. Jazz klingt also ganz verschieden. Aber etwas muss doch gleich sein? Meine Tante sagt, dass alle Jazzer Musik erfinden, während sie spielen. Das nennt man improvisieren. Wenn die Musiker gut sind, reagieren sie dann darauf, was die anderen gerade machen. Deswegen ist Jazz spannend. (ghx)
Zur Zugabe kamen sie dann zusammen auf die Bühne: Lars
Danielsson, der schwedische Kontrabassist, der seine nordische Musik mit
ganz viel südlicher Energie auflädt, und Adam Baldych, der polnische
Wundergeiger, der vom Balladenschmelz bis zum Hochgeschwindigkeitsspiel
alles so lässig beherrscht. Begleitet von Danielssons Band machten sie
sich über dessen Komposition „Suffering“ her, ein spanisch angehauchtes
Stück im Dreivierteltakt, das den beiden noch einmal Gelegenheit bot,
ihr großartiges Können im intensiven Dialog zu demonstrieren. Beide
stehen ja eher für die melodische Seite des Jazz, für eine Schönheit mit
glatt polierter Oberfläche. Hier produzierte die improvisatorische Lust
auch ein paar Rauheiten und Kratzer, und es passte daher nicht
schlecht, das Magnus Öström in diesem Stück sein rockig-kantiges
Schlagzeugsolo platzierte.Der Festivalabschluss findet
ja seit ein paar Jahren in Herxheim statt, mitten im Ort, mitten auf der
Hauptstraße zwischen Sparkasse und Villa Wieser. An leisen Stellen ist
die Musik begleitet von Kirchturmuhr, Autogebrumme und quietschenden
Reifen. Die Hälfte des Publikums sitzt auf dem Kopfsteinpflaster der
gesperrten Straße, der Rest verteilt sich in der Parkanlage der Villa
zwischen Bäumen, Bronzepferdchen und Eiscafé. Und weil auch die
Regenschauer durch waren und die Hitze der letzten Tage weitgehend
fortgeblasen, wurde es wieder einer jener magischen Festivalabende, die
so nicht planbar und nie ohne Risiko zu haben sind.
Den Anfang machte der 29-jährige Baldych mit seinem 31-jährigen
Klavierpartner Pawel Kaczmarczyk, ebenfalls ein angehender Star der an
Talenten so reichen polnischen Jazzszene. Kaczmarczyk sorgt für das
stabile harmonische Gerüst, auf dem Baldych seine virtuosen
Akrobatenkunststücke vollführen kann.
Die Musik schöpft aus vielen Quellen, von osteuropäischer Klassik bis
irischer Folklore, balladenhafte Poesie steht neben hymnischem Jubel.
Auch ein Stück von Zbigniew Seifert, des großen polnischen
Fusion-Geigers der 1970er Jahre, haben sie im Programm, verwandeln den
kernigen Jazzrock des Originals in eine kammermusikalische Miniatur, die
überraschende Intensität entwickelt. Die Haarmähne, die Baldychs
solistische Eskapaden früher so dramatisch umflatterte, ist inzwischen
zu einem strengen Haarknoten gebändigt, der Mann sieht jetzt cooler aus,
seinem heißblütigen Spiel hat es nicht geschadet.
Mit einsetzender Dämmerung folgte dann die Lars Danielsson Group, die in leicht veränderter Besetzung die Fortsetzung ihres „Liberetto“-Projekts präsentierte. Auch der gelernte Cellist Lars Danielsson ist im Herzen ein Romantiker, verpackt seine sanfte Seele aber in mehr Fusiongetöse, arbeitet mit kompositorischer Vielfalt und dezenten Elektronics und lässt es in Stücken wie „Orange Market“ oder „Party on the Planet“ ordentlich krachen.
Hier steuert der britische Gitarrist John Parricelli
statt suggestiver Schwebeklänge auch mal ein klug aufgebautes Solo bei,
das sich auch auf einer Pink-Floyd-Platte gut gemacht hätte.
Und dass immer mal wieder Erinnerungen an Esbjörn Svensson aufkommen, liegt nicht nur am Mitwirken des früheren E.S.T.-Drummers Magnus Öström. Der neu in die Band gekommene Pianist Jonas Östholm ließ sein Talent nur gelegentlich aufblitzen.
Die glücklichste Zuhörerin in Herxheim war zweifellos Festivalleiterin Yvonne Moissl. Mit der gemeinsamen Zugabe hatten die Musiker ihr einen Herzenswunsch erfüllt, und so ging eine Festivalsaison zu Ende, die nach Absprung von zwei Sponsoren und entsprechenden finanziellen Schwierigkeiten nicht unbedingt verheißungsvoll begonnen hatte. Natürlich soll es auch 2016 Palatia Jazz geben, das Festival feiert dann sein 20-jähriges Bestehen. Dass wie im Vorjahr 8000 Besucher kamen, obwohl zwei Konzerte weniger auf dem Programm standen, stimmt Yvonne Moissl zuversichtlich, dennoch will sie „für nächstes Jahr neue Überlegungen anstellen“.
Das könnte eine weitere Reduzierung der Festivalstandorte bedeuten,
eventuell mehrtägige Schwerpunkte auf der Limburg, auf Villa Ludwigshöhe
oder in Germersheim. Das würde bei gleichbleibendem Programmangebot
Kosten sparen.
Weiterhin geben soll es den Palatia Jazz Youth Day, der in zwei Konzerten jugendliche Jazzensembles aus der Pfalz vorstellte. Rund 1000 Zuschauer durften sich hier davon überzeugen, dass es um den Jazznachwuchs ganz gut bestellt ist. Und junge Menschen benötigt Yvonne Moissl natürlich auch in ihren Konzerten, denn da liegt der Altersdurchschnitt inzwischen bei 50 Jahren.
Die Rheinpfalz - Nr. 183
Montag, den 10. August 2015
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